Diagnose Schleudertrauma – und was hilft, wenn nichts mehr hilft.

Im Nachhinein erscheine ihm vieles logisch, meint Peter. Bio-logisch. Seine Augen wirken tief berührt und erleichtert beim Satz, sein Albtraum sei nun vorbei. Vor zwei Jahren schleuderte ihn ein heftiger Auffahrunfall – auf nichts gefasst an einer Ampel stehend – aus seinem gewohnten Leben. Aus Beruf, geordnetem Rhythmus, aus seinem Körper. Er habe sofort gemerkt, dass etwas nicht mehr stimme, doch ausser dem Gefühl „neben den Schuhen zu stehen“ konnten mit Ausnahme einer leichten Wirbelverschiebung keine weiteren Verletzungen diagnostiziert werden.

 

Fortan gelang ihm wenig. Zum Gefühl der Kraftlosigkeit kamen während der folgenden Monate weitere Symptome hinzu: Verspannte Rücken- und Nacken-muskulatur, häufig und diffus auftretender Kopfschmerz. Schwindelanfälle, Schlafstörungen und Konzentrationsmängel setzten eine Negativspirale in Gang, die sein Leben zunehmend behinderte. „Es begann der Spiessrutenlauf durch Arztpraxen, Versicherungen und Ämter. Zu den körperlichen Beschwerden gesellte sich das demütigende Gefühl nicht ernst genommen, als Simulant bezeichnet zu werden“, erinnert er sich. Vor einem halben Jahr sei er schliesslich vor dem Nichts gestanden, ratlos wie es weitergehen könne, den Schmerz als steten Begleiter an seiner Seite. Bis er durch Zufall auf einen Vortrag aufmerksam wurde.

 

Was beim Schleudertrauma geschieht

Peters Leidensgeschichte, so Thomas Blaser, Referent des Vortrages und Inhaber einer Therapiepraxis namens „Balance“, sei von heftigem Ausmass, zeige jedoch mustergültig wie die Dinge zusammenhängen wenn sogenannte „Körpertraumatas“ nicht rechtzeitig erkannt und behandelt würden. Er ist geübt im Umgang mit Menschen die wie Peter in Not geraten sind. „Es stimmt mich froh und zuversichtlich dass eine zunehmende Zahl von Versicherungen und Krankenkassen sich für ganzheitliche Alternativheilmethoden geöffnet haben“, meint er. „Ich behandle unter anderen Klienten der AXA Winterthur. Ihr Case Management hat umgedacht und arbeitet vorbildlich zum Wohl des Menschen. Es ist an der Zeit dass Wissenschaft, Medizin, Medien und damit der Mensch sich für  das ganzheitliche Verständnis der Gesundheit öffnen. Die AXA Winterthur als Beispiel trägt einen wichtigen Teil zu dieser Pionierarbeit bei – mit Erfolg.“

 

Thomas Blaser ist Körpertherapeut und „Coach fürs Leben“ wie er sich nennt. Im Umgang mit Traumatas – wie auch das Schleudertrauma eines ist – kann er auf reichen Erfahrungs- und Methodenschatz zurückgreifen. Was geschieht seiner Meinung nach bei einem Schleudertrauma?

 

„Dem Menschen hilft am Ende des Tages nicht was erklärbar ist, sondern was wirkt. Kommt beides zusammen, umso besser. Bei einem Unfall werden wir kalt erwischt, wir können uns nicht wehren. Ein natürlicher in uns vorhandener Flucht-, Angriffs- oder Totstellreflex wird überrumpelt, die dazu vorhandenen Energien blockiert, es kommt zum Schock. Bei einem Schock werden sämtliche Sinnesempfindungen die zum Moment des Unfalls gehören eingefroren. Damit unser Organismus weiter funktionieren kann, bleiben diese Daten unverarbeitet. Die Neurowissenschaft geht von einem Schutzmechanismus im Gehirn aus, der die betroffenen Regionen temporär abtrennt um emotionale Überflutung zu verhindern. Ich gehe davon aus, dass diese Trennung zusätzlich Kraft kostet, weil die Daten im Grunde nach Verarbeitung drängen und so Gegendruck (Verdrängen) aufgebaut wird. Wir schaffen dies (scheinbar) mit diversen meist unbewussten Strategien, schliesslich müssen und wollen wir so rasch als möglich wieder funktionieren. Doch die blockierte Energie bleibt gespeichert und gibt sich über kurz oder lang auf körperlicher Ebene zu erkennen, kann sie sich nicht natürlich entladen (wie es z.B. in der Tierwelt durch heftiges Zittern geschieht). Sie (die blockierte Energie) fragt nicht nach unseren Zielen oder Terminen im Kalender. Meines Erachtens werden Menschen nach Unfällen oder anderen traumatischen Ereignissen in der Schweiz oder Deutschland medizinisch und psychologisch erstklassig betreut. Doch neurobiologisch? Folgeschäden wie bei Peter kosten den Staat immense Summen und könnten deutlich verringert werden, würden die Zusammenhänge akzeptiert und früher gehandelt.

 

Wie ist erkennbar, ob eine solche Schockenergie oder eben ein Körpertrauma vorhanden ist? Grundsätzlich wenn die Erinnerung an das Ereignis emotionale und körperliche Erregung hervorruft. Dies kann Nervosität sein, flacher oder heftiger Atem, Zittern, Trauer, Wut, Herzklopfen, abwehrende oder beschwichtigende Sprache im Sinne von „ach lassen wir das, man kann ja doch nichts mehr ändern“. Doch, man kann. Das Gegenüber spürt das Unbehagen in den hilflosen Worten oft selber, beschwichtigt sich aber ebenso. Tatsache ist: Die Lebensgesetze wirken immer, jenseits davon ob wir an sie glauben oder nicht. Und Schockenergie will gelöst werden. Sie sucht diese Lösung aber fatalerweise in der Fehlannahme, dass das Unglück wiederholt werden muss um es neuerlich besser abfangen oder verarbeiten zu können. Dies führt soweit, dass Menschen nach einem Unfall weitere ähnliche Unfälle oder Schicksalsschläge „magisch“ anziehen. Das ist nichts weiter als logisch, bio-logisch eben. Nach den Gesetzen des Lebens funktionierend. Und hier wirkt das Gesetz der Resonanz. Genau an diesem scheinbar hoffnungslosen Punkt setzt die Therapie an“.

 

Neurologische Entkoppelung

„Erinnerung besteht aus Sinnesempfindungen: Bilder, Gerüche, Gedanken, Geräusche, Gefühle und Körperempfindungen. Diese werden in der Therapie entkoppelt, die gefrorene Energie in Fluss gebracht. (Zitat David Boadella, Begründer der Biosynthese: Der Körper ist gefrorene Lebensgeschichte). Statt ein solches Ereignis zu wiederholen oder abzuwehren, gehen wir in der Sitzung gemeinsam in Sicherheit und Vertrauen (Komponenten, die beim realen Ereignis fehlten) bewusst daran. Ich arbeite mit Elementen des EMDR, Imaginations- und Meridianklopftechniken, körpertherapeutischer Traumaverarbeitung und Trancetherapie. Mal ist die eine, mal die andere Methode von grösserem Nutzen. Und oft verwachsen sie automatisch ineinander. Manchmal reicht eine einzige Sitzung aus, um ein Wunder zu bewirken (ein Wunder ist das Eintreten eines logischen Ereignisses, das vom Betreffenden optimal vorbereitet wurde), und manchmal dauert es drei bis sechs Monate bis sich das Leben spürbar und entscheidend verändert. Dies hängt sehr davon ab wie lange das betreffende Ereignis zurückliegt, wie das Leben in der Zwischenzeit um das Ereignis herumarrangiert wurde und wie viele Folgesymptome sich über das Ursprungstrauma gelegt haben.

 

Vereinfacht erklärt geht es darum die Hirnregionen auszubalancieren, die blockierten Energien abzuleiten, in Fluss zu bringen. Stress wird abgebaut, Entspannung tritt ein, die Erfahrung des Unfalls wird von den Spuren, die im Körper zurückblieben, entkoppelt. Es geht um das neurologische Neuerleben: Schmerz hat seinen Sitz nicht immer dort wo wir ihn spüren. Er wird oft im Gehirn ausgelöst. Für das Gehirn aber spielt es keine Rolle ob ein Ereignis real stattfindet oder wir es uns vorstellen. Vorhandene Schockenergie wird per Erinnerung geöffnet und es katapultiert uns sozusagen in die Vergangenheit. Körperlich, emotional, geistig ist alles so real als würde es gerade geschehen. Das Trauma ruft uns, weil es uns etwas zu sagen hat. Es will sich befreien. Darin liegt der grosse Segen, die grosse Hoffnung für leidgeplagte Menschen, die es immer wieder zurückzieht. Diese Tatsache machen sich die neurobiologischen Ansätze zu Nutzen. Sie verbinden die Vergangenheit im Innern des Menschen mit dem Jetzt, dem Aussen, mit neuen Eindrücken welche die alten, schreck- und schmerzhaften in Bewegung bringen, vermischen, ableiten. Solche Sitzungen sind auf tiefster Ebene berührend, für den Klienten wie für den Therapeuten. Manchmal kann ich mir eine Träne nicht verkneifen, es ist spürbar wie der Organismus des Gegenübers sich entspannt, durchatmet, befreit. Oder wie eine Klientin es beschrieb: „Mir standen plötzlich die Nackenhaare zu Berge. In diesem Moment spürte ich dass eine Kraft in mir erwacht, die ich vor langer Zeit verloren hatte. Dann war mir klar: Jetzt wird es gut.“ Ich verspüre in diesen Momenten eine grosse Dankbarkeit dem Leben, dem Menschsein und der Tatsache gegenüber, dass wir in der letzten Konsequenz alle gleich funktionieren, das gleiche anstreben, gleich sind. Und einander so helfen dürfen und sollen.

 

In der Folge zeigt sich meist Erstaunliches: Oft innerhalb weniger Tage klingen Beschwerden ab, Symptome beginnen sich zu verändern. Das Ereignis rückt ferner, verliert sich auf sonderbare Weise, Freude und Leichtigkeit im Umgang mit der eigenen Geschichte kehren zurück. Die Erinnerung verblasst, oder besser: Wurde neu verfasst. Was, wenn unser Gehirn nur ein Biocomputer ist? Was wenn dieser neu programmierbar ist? Was wenn wir sind was wir denken und mit verändertem Denken neu sein können?  Was wenn nicht das was war uns prägt sondern wie wir es wahrgenommen haben? Heikle Themen über die ich gerne spreche. Im Umgang mit Traumatas sind mir zwei Dinge klar: Dass wir nicht im Trauma selber zu arbeiten haben sondern alles Mögliche unternehmen dürfen, dem Organismus zur körperlichen, geistigen und emotionalen Befreiung von der gefrorenen Erinnerung zu verhelfen. Und: Auch wenn es die Wissenschaft noch nicht anerkennt, Unfälle und schwere Ereignisse haben oft einen roten Faden der in der Zeit zurückführt. Hin zu Ereignissen, bei denen eine Lebensdisposition entstand, welche die Chance für einen Unfall oder andere Schicksalsschläge erhöhen und – wenn verarbeitet – wieder verringern. Der Unfall kommt meist nicht aus dem Nichts, hat oft zwingende Vorgeschichte. Wird das Trauma ausreichend verarbeitet, ist die Rückkehr ins Hier und Jetzt, in die Gegenwart möglich und das Leben erscheint wieder lebendig, bunt, vertraut. Wir sind wieder auf unserem Weg, in statt neben unseren Schuhen.

 

An dieser Stelle ist es mir sehr wichtig zu betonen dass ich mit Ärzten, Osteopathen, Physiotherapeuten und Homöopathen zusammenarbeite. Meine Therapieform ist zu keiner Disziplin Konkurrenz sondern Ergänzung, die ein Problem an der Wurzel angeht und so einen ins Stocken geratenen Genesungsverlauf z.B. in der Physiotherapie wieder in Gang bringt oder beschleunigt.“

 

Wenn die Hoffnung wiederkehrt

Peter hatte die Hoffnung fast aufgegeben. „Die letzten zwei Jahre haben mich geöffnet für Dinge die ich zuvor niemals geglaubt hätte. Wenn mir vor dem Unfall und den dadurch erfahrenen Umständen jemand gesagt hätte dass sich körperliche Beschwerden mit bestimmter Fragetechnik, sanfter Bewegung meiner Augen, etwas Musik und Klängen, Atemübung und leichter Trance verändern würden, hätte ich mit einem beiläufigen Lächeln abgewunken. Diese Erfahrungen haben mein Leben auch in der Tiefe, in meinem Wesen verändert. Ich bin offener, respektvoller geworden, mitfühlender für Dinge die ich zuvor nicht zugelassen hätte. Mein Leben ist nicht mehr dasselbe, es hat an Tempo verloren – und dadurch an Qualität gewonnen. Heute arbeite ich wieder in Vollzeit, aber irgendwie anders. Ich nehme mich und meine Grenzen besser wahr, und damit die der anderen. Mir scheint, ich bin mehr verbunden mit dem Leben denn je und betrachte meine damalige Krise als Glücksfall, der sich mir erst im Nachhinein als solcher zu erkennen gab.“

 

Heilung in jedem Fall? „Nein“, so Thomas Blaser, „das wäre ein Wecken falscher Hoffnungen. Es gibt Fälle, in denen die mechanischen Schäden derart gross sind dass der Schmerz zwar gelindert, aber nicht gelöscht werden kann. Und es gibt  Fälle bei denen sich der Betroffene sein Leben mit dem Leid so organisiert hat, dass ein neuerliches Loslassen ein zu hohes Risiko bedeuten würde. Es gilt stets die Frage nach dem Gewinn im Auge zu behalten. Spüre ich den inneren Widerstand gegen die Veränderung, kommuniziere ich dies und lasse los. Kein Mensch hat das Recht, eines anderen Menschen Weg zu bestimmen. Für jeden kommt die richtige Zeit am richtigen Ort, wenn nicht heute dann vielleicht morgen oder im nächsten Leben (lächelt verschmitzt). Doch steht für mich ausser Frage, dass wir in den nächsten Jahren Quantensprünge machen werden bezüglich unserem Selbst-Bewusstsein und der Möglichkeiten der Selbstheilung.“